Wie ist das, nach fast zehn Jahren in die Heimat zurückzukehren und sich einzurichten, als würde man nie wieder gehen? Ich teste das gerade. Falls es jemand wissen will.
1. Mehr Angst.
Die Heimat habe ich als fast-noch-Teenager verlassen. Das war aufregend, aber nicht beängstigend. Ich habe das Kaff gehasst, die Enge und dass Menschen meinten, Dinge über mich zu wissen, nur weil sie mir seit Jahren vor die Stirn sahen – nie hinein, nur davor.
Weggehen war also einfach. Zurückkommen ganz und gar nicht. Dabei liebe ich die Farben hier, liebte sie immer, wie das Gold zerfällt und zu Weiß wird, dann zu Grau und wieder grünblau leuchtet. Ich mochte immer, dass man eher fröhlich als traurig ist, wenn man die Wahl hat, mochte die Sprache und die nahe Stadt.
Doch Zurückkommen ist mehr als Nostalgie. Nostalgie enttäuscht, wenn sie mehr ist als ein Sammelalbum, ein paar Fotografien. Zurückkommen bedeutete für mich die Auseinandersetzung mit dem Menschen, aus dem ich erst der werden konnte, der ich heute bin. Noch einmal ganz genau das verletzte, wütende, schreiende Mädchen zu betrachten, aus dem die Frau wurde, die damit umgehen kann, wie es damals war. Hoffentlich.
2. Mehr Wahrheit.
Weil ich lange bleiben will, lohnt sich kein Spiel. Nicht einmal unbewusste Anpassung würde funktionieren. Zehn, zwanzig Jahre bleiben wollen, das hatte ich bewusst und freiwillig bisher nur einmal – auch wenn das nicht geklappt hat, es war so geplant – und auch da galt: Echt oder gar nicht. Wenn mir unangenehm ist, wer ich bin, sollte ich mich ändern statt das nur vorzugeben. Das kostet Kraft. Das Sein an sich wird damit schwieriger. Und echter. So vermeide ich ganz automatisch, zu der Kopie zu werden, vor der ich damals geflohen bin. Dieser Automatismus gefällt mir außerordentlich gut. Durch ihn wird alles echter, auch meine Angst. Ich muss mich für sie nicht schämen, muss sie nicht zurückweisen, sondern kann mit ihr leben, mit den Reaktionen auf sie und ganz bewusst Schritte gehen, die mich niemals ganz über sie hinweg führen. Hoffentlich.
3. Mehr Zukunft.
Der Alltag in diesem Dorf, in dem ich so wenige Menschen kenne, wo ein neuer Weg tiefe Fußspuren hinterlässt – meine Spuren sind erstaunlich klein -, der ist sehr viel langsamer. Zu Beginn des zweiten Winters hier fühlt sich das endlich wie das an, weswegen ich hierher gekommen bin. Unter anderem. Die Ruhe schafft Raum für Pläne. Für die zwanzig Jahre, die es werden müssen, wenn die Kinder ihre Schulzeit hier zu Ende bringen dürfen. Sie schafft Zeit für Entscheidungen, so viel, dass ich manchmal vergesse, ein paar zu treffen und es kaum schlimm ist. Obwohl ich das konkrete Engagement vermisse, die sichtbaren Veränderungen in relativ kurzer Zeit, tut das Langsame gut, in dem sich Menschen, Geschichten und die Ideen, wie es besser wird, entwickeln können. Ich brauche mehr Nächte, die ich über Gedanken schlafen kann, mehr Nächte für die Kinder und mehr Pausen dazwischen. So kann aus dem Jetzt ein Dann und wieder ein Jetzt werden, über das ich mich weiter freue. Das gut ist. Hoffentlich.