Ich glaube – zumindest ist es nur eine sehr vage Erinnerung -, diese Jahresrückblicke, egal, wie detailliert, wie konkret, habe ich vor über anderthalb Jahrzehnten angefangen. Aber irgendwie fing da alles an, als ich dreizehn war. Das Rauchen, das Dagegensein, das Wegwollen, das Sinnsuchen, die Parties. Das Leben, so insgesamt. Nächstes Jahr werde ich dreißig. Das hätte ich nie gedacht. Dreißig werden. Nicht, weil das alt wäre, das ist es nicht. Nur, mit dreizehn habe ich auf eine Art gelebt, von der ich nicht dachte, dass man damit dreißig werden kann. Ich dachte, vorher stirbt man. Und der Gedanke war gar nicht so schlecht, damals. Es war es wert, dachte ich.
Diese Zahl ist ganz hübsch. Dreißig. Ich habe meine sterbende Großmutter daran erinnert, dass ich noch keine dreißig bin und sie war ganz aus dem Häuschen. Mir bleibt so viel Zeit, da wartet noch so viel Glück, so viel Leben. Das war Heiligabend, als ich mit ihrem dritten Urenkel vorbeiging, nur Frohe Weihnachten sagen und eine Weile ihre Hand halten. Da war Zeit eine völlig andere Kategorie.
Nun, ich bin noch neunundzwanzig. Und ich will mal kurz das letzte Jahr zurückholen und erst danach ans nächste denken. Auch, um es durch zu haben. Denn es war hart. Ein bisschen geplant hart, und offensichtlich ja durchgehalten. Doch hart bleibt hart.
Ich hatte das ganze Jahr über Schmerzen.
Das setze ich in eine eigene Zeile, allein, ohne Relativierung, ohne die Konsequenzen, so offen und ehrlich, wie ich eben kann. Ich hatte Schmerzen. Ich habe sie immer noch. Sie werden manchmal besser, dann wieder schlimmer, und wieder zurück. Manchmal half etwas, manchmal nicht. Multiple Sklerose, multiple Ursachen, multiple Fehler, die ich gemacht habe und Menschen in meinem Umfeld, ob professionell oder Laien. Und:
Ich war schwanger.
Auch das darf für sich allein stehen. Denn obwohl die Schmerzen schlimmer wurden, weil Behandlung mit Fötus schwierig ist, hing das nicht primär zusammen. Ich war schwanger. Fast das ganze Jahr über. Ich habe mein zweites Kind bekommen. Wahnsinn. Mittlerweile sehen meine Lebensumstände von außen vermutlich ziemlich spießig aus, fühlen sich aber immer noch nicht so an. Keine Ahnung, ob ich mir damit etwas vormache, und ob das überhaupt relevant ist. Jedenfalls sind wir jetzt zu viert in diesem Haus, an diesem Ort, an dem wir uns fürs Erste niedergelassen haben. Schon im Glück angekommen, noch längst nicht im Alltag und so ist es schön, die Phase mag ich. Mehr mag ich dazu wohl gar nicht erzählen. Über die Kinder und die Familie schreiben ist naheliegend, und wichtig, wo unser Privates doch so politisch ist, doch sie sind eigene Menschen und ich spreche schon genug über sie, ohne vorher zu fragen, ob das in Ordnung ist.
Viel eher sollte ich erzählen, dass ich immer noch schreibe. Was das angeht, war es ein absurdes Jahr. Viel unsichtbare Arbeit. Richtig unsichtbar. Um Figuren und Welten zu entwickeln, habe ich eine Art Rollenspiel mit einer Kollegin, einer Freundin, angefangen. Wie das nunmal mit Text und Liebe so ist, es artete aus. Wir stehen beim vierten Buch. Ja, genau. Zusammen haben wir dreieinhalb Bücher geschrieben, in einem Jahr. Neben dem, was man sonst so schreibt und lebt. Dabei hat sich für meine Geschichte “Grenzen” so viel verändert, ich habe so viel über mich und meinen Stil und die Absicht des Textes gelernt, dass ich ihn noch einmal von vorn schreiben werde.
Worte sind immer noch Liebe. Werden jedesmal noch mehr Liebe. Irgendwie nebenbei, obwohl ich wegen Schmerzen und fortgeschrittener Schwangerschaft gar nicht mehr arbeiten wollte, habe ich einen Stapel Kurzgeschichten geschrieben, wurde veröffentlicht, habe vorgelesen. Es war kein lautes, aber ein gutes Jahr, mit Prioritäten, neuen Ideen und viel Ehrlichkeit.
Ich bin – wirklich sehr – gespannt darauf, wie das nächste wird, mit dem, was dieses Jahr dazu kam. Dem unbedingten Willen, so in etwa weiterzumachen. Und zu hoffen, dafür zu arbeiten, dass es irgendwie funktioniert.