Es sind jetzt 100.000 Zeichen. Das klingt viel. Das klingt noch viel mehr, wenn klar wird, dass das nur die gezählten Zeichen eines Office-Tools sind. Anschläge werden anders gezählt, da sind es mehr. Die Mühe, die zu zählen, mache ich mir später, denn meine Normseite ist irgendwie nicht so richtig Normseite. Ich hadere mit mir das zu ändern. Es ist eine Formalie, die ist noch nicht wichtig. Es ist einer Normseite nah, das reicht. Wieder weniger klingt es, wenn ich 17.000 Wörter sage. Oder 90 Seiten. Und wenn das gerade mal ein Fünftel von dem ist, was es werden soll, wenn überhaupt.
Mir stockt der Atem. 90 Seiten. Ernster als erwartet. Ausdauernder als für möglich gehalten. Meine wundervolle Betaleserin ist immer noch nicht schreiend weggerannt, ich knie nieder und bete zu Merlin, dass das so bleibt.
Was ist das, das mir keine Ruhe lässt, wovon ich träume, wovon ich mit leuchtenden Augen spreche? Was ist das, das ich aus der Hand legen kann, wenn meine anderen Leben mich brauchen, das funktioniert, wo ich doch so wenig Zeit habe wie nie zuvor?
Seit ich die Arbeit daran verblogge, werde ich manchmal gefragt. Meine erste Antwort: Urban Fantasy. Es ist eine fantastische Welt, die unsere reale Lebenswelt nicht ausblendet. Oder unsere Welt mit fantastischen Zügen. Das hilft erstmal. Es schließt viel aus, es schließt aber auch noch viel zu viel ein.
Ein paar Mal, unter Freunden, in der Familie, habe ich versucht einen Handlungsstrang darzulegen. Das kam zwar gut an, doch zufrieden war ich nicht damit. Ich habe versucht es kurz aufzuschreiben. Sortiert, nummeriert, habe das Geplottete verbastelt, das noch in meinem Kopf rumliegt, obwohl es längst verarbeitet ist. Ich habe Erzählperspektiven benannt, ich habe Namen erklärt und Charaktere, die Themen umrissen und mich mit einer verfickten Altersfreigabe beschäftigt.
Da ging es mir auf. Meine Geschichte kann nicht brutaler sein als die Welt. Sie ist ein Teil davon, es gibt nichts zu kürzen, nur noch zu schreiben. Über alles. All die Liebe, die Freundschaft, den Hass, die Lügen, die Macht, die Angst, die Fehler und Entscheidungen. Über das Leben, das Zusammensein, das Unglück und den Trotz. Schreiben über die Kämpfe, die Schreie und das Blut. Und das, was am Ende über bleiben könnte.
In Erwartung einer Antwort meiner wundervollen Beta. Mit dem „Ja, gerne!“ der ersten Wunschlektorin. Auf der Suche nach mehr Gänsehaut, sehe ich dem fünften Kapitel zu, wie es wächst.