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Und dies alles unter deiner Nase, Albus

Der vermutlich beste Titel, den mensch einer Fanfiction geben kann.

Dieses Review zu schreiben, fällt mir nicht ganz leicht. Ich will es ordentlich machen, aber immer, wenn ich mich konzentriert davor setze, verliere ich mich darin.
Fast 225.000 Wörter, 34 Kapitel sind es.
Und dies alles unter deiner Nase, Albus.

Die Fortsetzung Warum eigentlich? wurde gerade erst fertig gestellt, 68 Kapitel. Ich habe sie noch nicht zu Ende gelesen. Der dritte Teil der Orden des Greifes ist derzeit in Arbeit.

Der erste Teil funktioniert nur dann als abgeschlossene Einheit, wenn man mit offenem Ende leben kann. Und ich meine offen. Mensch erwartet nach dem letzten Satz direkt den nächsten. Der kommt aber nicht.

Story
Die Geschichte spielt in den Sommerferien nach dem fünften Schuljahr. Gerade ist Sirius Black gestorben, gerade hat die breite Öffentlichkeit der Zauberergemeinschaft erkannt, dass Lord Voldemort zurückgekehrt ist. Harry ist schnell nicht mehr so furchtbar deprimiert wie im Original, er setzt sich gegen das Alleinegelassenwerden zur Wehr, gegen das Nichtlernen, das NichtimOrdensein, gegen die Keine-Informationen-Politik Dumbledores ganz besonders. Er hilft sich selbst, lernt wie besessen neue Magie, findet Wege zu kommunizieren, zu reisen und kommt auf ganz neue Weise mit seinen verhassten Verwandten klar. Arabella Figg spielt dabei eine große Rolle, sie unterstützt ihn, besonders in der Auseinandersetzung mit Dumbledore, die sehr bald und sehr direkt kommt, obwohl nicht von Harry provoziert. Nebenher lernt er ein Mädchen kennen – genau, Harry/Ginny gibt es hier nicht – , ein sehr ausgearbeiteter Charakter, mit Schwächen und Stärken, der auch Entwicklung durchmacht. Ich mag sie nicht besonders, aber ich mag halt dieses Kopf-durch-die-Wand einfach nicht, so ist sie oft.
Sie und ihre Familie, die ursprünglich aus der Nähe kommen, derzeit aber gerade zum Großteil in Mumbai wohnen, bringen andere Eindrücke rein, erstmal natürlich das Leben per se, das zum britischen schon genug Unterschiede aufweist. Dann ist da auch noch die andere Methode der indischen magischen Gemeinschaft mit dem Geheimhaltungsabkommen umzugehen, die stärkere Durchmischung der Welten magisch und nichtmagisch. Das ist gesellschaftspolitisch interessant und haut dem britischen Zaubereiministerium wie auch dem Orden des Phoenix hin und wieder eins vors überhebliche Maul. Nett ist das. Aber nicht einseitig! Durch eine Erbschaft (von Sirius) spielt auch Rumänien als Region und Gesellschaft eine Rolle, hier bin ich mir aber nicht sicher, inwiefern der Autor sich an der Realität orientiert hat / orientieren konnte. Das wirkt alles sehr mittelalterlich, sehr gestelzt, ein bisschen Dracula-zeitig, mag aber durchaus ein falscher Eindruck sein, ich habe schließlich keinen Ansatzpunkt. Im direkten Vergleich mit diesen der Harry Potter Welt eigentlich fremden Orten wird der Umgang mit weißer und schwarzer Magie in Frage gestellt. “Die Jugend” erkennt beinahe durchweg, dass sie mit der Mittel-Zweck-Metapher anders umgehen muss um zu überleben und das einiges der ihnen bekannten Tradition und Rechtmäßigkeit Blödsinn ist. Sie stellen einfach alles in Frage und gehen ihre eigenen Wege. Oft genug fallen sie damit auf die Fresse und erkennen, dass irgendeine Tradition vielleicht doch nicht so falsch war oder nicht so einfach zu ersetzen ist.

Figuren
An der neuen Freundin Harrys hängt natürlich ein Rattenschwanz, es tauchen direkt auf: Vater, Mutter (letztere stärker ausgearbeitet, weil relevanter für eine bestimmte Auseinandersetzung) und ein Cousin, der mehrere neue Aspekte reinbringt, unter anderem ist er eine der zwei Personen, die die Frage nach Skrupeln neu stellen.

Zu den Charaktere, die jeder HP-Fan bereits kennt, sage ich einzeln was, denn fast alle sind out-of-original, aber eben nicht zu sehr out-of-character, dass es keine Verbindung gäbe.

Harry:
ist sich seiner viel bewusster, wenn’s auch manchmal ne Weile braucht. Er härtet ab im Laufe der Erlebnisse, entwickelt aber kein richtiges schwarz-weiß-Denken, ggü. dem Orden tritt er stark für seine Belange ein, frei nach dem Motto “die wollen was von mir, nicht umgekehrt”, verzeiht aber auch und ist nur selten richtig provokant. Das macht ihn irgendwie reifer, weiser, er bleibt aber der Jugendliche mit seiner ersten festen Freundin, wie so jemand eben ist. Und er ist nur halb so pathetisch wie im Original.

Dumbledore:
Jede Einsicht, die kommt, hält nicht lange vor, meistens ist er eh uneinsichtig und inkonsequent. Manchmal sogar ein bisschen weinerlich in seinem Nichtverstehen der rebellischen Jugend.
Er will um keinen Preis die Zügel aus der Hand geben, und gibt nur sporadisch wirklich wichtige Informationen raus, eine Szene, in der er sich von Snape töten lässt und anderen alle weiteren Entscheidungen überlässt? Undenkbar. Dabei bleibt er er selbst, ein bisschen wirrer alter Mann, wortgewandt, diskussionsfähig, empathisch und natürlich, trotz aller Fehler, die so ein Elfenbeinturmleben mit sich bringt, arbeitet er für Menschenwürde. Über die Mittel wird viel gestritten, Marionettenspieler, verdammter.

Remus/Tonks:
Tonks passt, was soll ich dazu mehr sagen. Sie ist immer noch sehr direkt und erwehrt sich immer noch den Degradierungen der anderen Ordensmitglieder, insbesondere natürlich Moodys.
Remus ist der Nachdenkliche der Rumtreiber und viel näher an Harrys Situation als im Orden verstrickt. Sein Leben und seine Aufgaben werden nicht ganz klar, aber er bleibt der Schlichter. Es gibt eine niedliche Stelle, an der er sich darüber amüsiert und man ganz kurz einen Blick auf den Schelm hat, der er sein muss um überhaupt ein Rumtreiber sein zu können. Das ist wirklich süß und macht ihn passender als ich ihn kennengelernt habe.

Ginny:
“hat den Aufstand gewagt.” Sie setzt sich gegen ihre Gluckenmutter durch und bleibt bei den durchgedrehtesten Brüdern, die sie hat. Ich liebe sie dafür. Dabei bleibt sie fürsorglich, nah und unheimlich stark. Sie lässt sich von der aufmüpfigen neuen Freundin unterstützen und bietet ihr Paroli, wenn sie merkt, dass sie zu weit geht. Ginny war mir in den Originalen ziemlich egal. Hier ist sie ein Traum.

McGonagall:
schlägt sich auf Harrys Seite. Natürlich nicht endgültig, denn die enge Freundschaft mit Dumbledore bleibt bestehen und wird einige Male ausgeführt. Enge Freundschaft bedeutet natürlich auch, dass sie ihm den Kopf wäscht, wenn er sich verrennt. Nicht so kackendreist wie Snape es tut, aber deutlich. Sie vertraut in erster Linie auf sich. Wenn es bei JKR ein Gespräch zwischen McGonagall und Dumbledore gegeben hat, nachdem Harry sein Büro auseinander nahm, dann wäre dieser Autor hier in der Lage das zu schreiben.

Snape:
Bei seinem ersten Auftritt redet er zu viel, ansonsten ist er sehr gut getroffen. Er blafft, bellt, zischt, spottet; und schließt nur eine engere Freundschaft, die primär auf dem Austausch von Wissen basiert. Hin und wieder gibt’s einen tieferen Einblick, warum er ein bestimmtes Verhalten an den Tag legt, klarer formuliert als bei JKR.

Ron/Hermione:
Hier findet sich ein Knackpunkt. Das einzig gute an diesen beiden Figuren ist, dass Hermione beschließt, dass es für eine Beziehung mit Ron nicht reicht, dass sie nur Freunde sein können. Ich bin halt einfach kein Ron/Hermione-Fan. Aber wodurch das zustande kommt, kann entscheiden ob jemand die Geschichte hasst oder liebt. Ron ist denkfaul dargestellt, dämlich manchmal, naiv, kindisch. Ja, auch er legt sich mit der Familie an, aber er geht eben nicht den nächsten Schritt. Für ihn ist Quidditch wichtig und er futtert andauernd. Das wird dem mutigen Mann aus dem Original in keinster Weise gerecht, passt aber in die Geschichte, weil so Harrys Freundschaft auf die Probe gestellt wird.
Hermione hat eine ganz klare Moralvorstellung, deren Begründung eher in Gesetzen, als in der Realität liegt. Das hätte nach dem zweiten Buch des Originals noch gepasst, nach dem fünften, in dem sie die Gründung der DA vorangetrieben hat, geht es eigentlich nicht. Ich kann das trotzdem hinnehmen. Sie will Dumbledore und Harry vertrauen, das macht sie endlich mal kompliziert und es ist nicht zuletzt etwas, das ich verstehen kann.

Fred/George:
Mir fehlt das gleichzeitige Reden und die überwiegenden Scherze in ihren Auftritten, sie nehmen nicht die größte Rolle ein, bilden aber die Basis für Ginny’s Aufstand, in dem sie sie bei sich aufnahmen. Das setzt Prioritäten, die ich sehr mag.

Molly:
ist die Glucke und ich freue mich tierisch, dass sie endlich mal als ebensolche dargestellt wird. Dieses ewige die-Familie-zusammenhalten und ganz besonders die Interviews von JKR zum Thema “wahre Mutterliebe”, die haben mich angekotzt. Im Original bevormundet wirklich jeden einzelnen Jugendlichen und Tonks, die eigentlich schon genug Probleme hat. Es hat mich rasend gemacht. Ihre ehrlichen Gefühle spreche ich ihr nicht ab. Einschränkungen, Verheimlichungen und Lügen sind nur eben kein Zeichen von Liebe, sondern von Blödheit. Sie kriegt das zu hören, endlich.

Die Malfoys/Bellatrix Lestrange/Voldemort:
sind großartig gemacht und passen. Fertig. Aus.

Kritik
Der Text ist nicht frei von Rechtschreibfehlern, immer mal wieder fehlt in Sätzen ein Verb oder Wörter kommen doppelt vor. Einmal stimmt die Erzählperspektive plötzlich nicht mehr, es wird unlogisch und manchmal musste ich eine Seite zweimal lesen um festzustellen, dass da ein Orts- oder Zeitsprung war, den ich nicht mitgekriegt habe. Da scheint dann was zu fehlen. In der direkten Rede benutzen die Charaktere viel zu oft den Namen dessen, den sie gerade ansprechen, einfach damit der Leser weiß, wer zu wem spricht. Das hätte wahrlich geschickter gelöst werden können, man kann es aber auch als einzigartiges Stilelement wahrnehmen, hin und wieder sogar als ironischen Unterton der sprechenden Figur.

Das ist alles nicht tragisch, ich habe die Geschichte mehrfach gelesen und es stört mich kaum. Und ich bin da normalerweise empfindlich.
Wer damit ebenso leben kann, der möge dies lesen. Und dem Autor danken.

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