Es ist spät und ich vermisse euch.
Euch alle. Mit euch zu lachen, zu schreiben, zu diskutieren. Ich vermisse es lange in Discord zu hängen und darüber zu reden, wie wir uns in unserer Gesellschaft bewegen. Ich vermisse eure Meilensteine auf Twitter. Ich vermisse sogar Jadas Instagram-Account.
Doch die Aufregung und die Angst sind mir zu viel. So berechtigt sie sind, ich halte sie nicht aus. Sie machen schlimmer, was ohnehin schlimm genug ist, und Infos gehen in der Empörung und in der Panik um diese Infos unter.
Also schaue ich zwar rein, aber nie für lange. Ändere meine Gewohnheiten, wechsle die Räume und die Art. Meine Angst ist leise und vorsichtig. Sie ist jeden Tag abwägen, was die Seele und was die Situation braucht. Sie ist müde. So müde, dass sie oft nicht einmal mehr wütend ist. Sie ist ignorant. Ich muss ignorieren, um nicht ständig vor Angst zu zittern, was kommt. Weggucken. Nur noch auf die wirklich wichtigen ganz privaten Dinge gucken. Auf die Kinder, gute Luft im Schlafzimmer, Kuchen backen, Yoga. Tief durchatmen, als würde ich den ganzen Tag über Yoga machen. Es liegt dieses seltsame Gefühl über allem. Die Ruhe bewahren zu müssen, um jeden Preis, weil sonst innerlich irgendwas hochgeht. Die Ruhe bewahren, während nichts ruhig ist. Jedes Wort begleitet von dem leichten Nicken, dem Unterton, dem Seufzen. Ja, wir wissen alle, was los ist, und das wir nur weitermachen können. Unser bestes tun können, indem wir die respektvollsten und ruhigsten Menschen sind, die wir hinkriegen. Mehr als wir hinkriegen. Mehr als wir schaffen. Langsam atmen, hundertfünfzig Prozent.
Es ist Tag 636 in der Pandemie. Meine Zählung beginnt am Tag der Schulschließungen in Nordrhein-Westfalen am 13. März 2020. Ich hoffe jeden Morgen, dass ich keinen Anruf bekomme. Jeden Abend, dass keine Mail mehr kommt. Es kommen zu viele Mails mit der Meldung von Infektionen in meinem Umfeld. Ich teste mich mehrmals die Woche, treffe möglichst wenig Menschen auf einmal, halte Kontakt mit den wichtigen und drehe selten komplett durch.
Die Sonnenstunden nehmen ab, eine Woche noch, bis das Licht länger bleibt.