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Tag 365

Gestern vor einem Jahr wurde der erste bundesweite Lockdown in der Pandemie ausgerufen. Wir könnten uns jetzt gegenseitig Toilettenpapier schenken und uns damit versichern: Ein Jahr. Das ist Grund genug gerade ziemlich am Rad zu drehen, irgendwo zwischen der zweiten und der dritten Welle, ohne richtige Pause.

Ich für meinen Teil bin noch ein bisschen mehr neben der Spur als sonst, weil ich nach fast drei Jahren wieder einen entzündlichen Schub durchmache. Diagnose MS, aber in letzter Zeit konnte ich das schön ignorieren. Jetzt nicht mehr. Jetzt sitze ich mit absurden Symptomen täglich in der Ambulanz und bekomme Kortison. Das ist anstrengend, sogar ein bisschen schmerzhaft, aber ich bin froh, ein ganz gut funktionierendes medizinisches Netz zu haben. Eins, in dem Respekt sehr weit oben auf der Prioritätenliste steht. Für meine Ängste und Verfehlung erfahre ich keine Abwertung, nur Rat-, und konstruktive Vorschläge. Das hilft sehr.

Während ich Schmerzen habe, kann ich nicht gut schreiben. Auf der anderen Seite ist es so, dass ich mit dem Schreiben kaum aufhören kann, wenn ich Schmerzen habe. Ich schreibe also. Und kann das, was dabei entsteht, irgendwann überarbeiten. Momentan sind das vor allem Gedanken über meine Situation, Verarbeitung auch, und der Versuch mich selbst davon zu überzeugen, dass es in Ordnung ist, eine Pause zu machen, während die Behandlung andauert.

Ich fahre jeden Tag anderthalb Stunden (eine Strecke), und verbringe dort noch einmal zwei. Meine Tage gehen also dafür drauf möglichst viele dieser Symptome wieder loszuwerden und keine neuen zu bekommen.

Gleichzeitig denke ich viel an Elli, für die ich nur noch zweieinhalb Szenen neu schreiben muss, um die überarbeitete Version bei meiner Agentur abzugeben. Ich habe einen zeitlichen Puffer von über einer Woche eingeplant, also ja: Es ist tatsächlich in Ordnung jetzt eine Pause zu machen.

In so einer MS Ambulanz sitzt man meist mit mehreren. Einige kommen und gehen. Andere bleiben länger. Wenn man so zwei, drei Stunden im gleichen Raum sitzt und an Infusionen hängt, tauscht man Tee und Gebäck und Geschichten.

Heute habe ich mit jemandem über Tee und Namen gesprochen, über selbstständige Kinder und Städte. Und irgendwann – das passiert oft – kamen wir auf meine Arbeit. Nach der groben Beschreibung möchte selten jemand Details über meine Texte hören. Viel häufiger geht es darum, wie das Schreiben im Alltag überhaupt abläuft. Die meisten können sich das nicht vorstellen. Doch wir hatten gefühlt unendlich viel Zeit und mein Gegenüber googelte mich, stolperte über mein Debüt und hatte eine sehr interessante erste Frage: “Der Krieg, um den es da geht, gab es den wirklich, oder ist er ausgedacht?”

Diese Frage kam noch nie. Mir gegenüber wurde noch nie die Frage gestellt, ob es in dem Urban Fantasy Roman einen historischen Hintergrund für den beschriebenen Konflikt gibt. Warum auch, wir leben in Deutschland, und ich schreibe zeitgenössisch. Es gab keinen Krieg auf diesem Gebiet zu meinen Lebzeiten. Das ist ziemlich privilegiert. Jetzt denke ich neu darüber nach, welche Sprache ich verwende, wie ich Dinge beschreibe und wie sie jemand aufnehmen muss, der dieses Privileg nicht hat.

Vermutlich ändert das etwas am nächsten Text. Eine neue Perspektive.

Soviel zum Pandemie-Jubiläum und dem, was gerade ansteht. Es ist gleichzeitig mein März-Update. Im nächsten Monat habe ich ganz bestimmt auch von Text zu erzählen 🙂

Passt auf euch auf!

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