Zum Inhalt

Pantomime.

Triggerwarnung: Klinikbericht, SVV

Die Pflegenden sehen sich vielsagend an, streichen mir über die Hälfte meines Gesichts, die ich nicht mehr spüren kann, beruhigen, sprechen leise, sagen aber nicht, was sie denken. Das dürfen sie nicht. Das war letztes Mal schon so. Es gibt keinen Grund die Blicke anders zu deuten und keinen sich davon beunruhigen zu lassen. Ich bin vorbereitet. Diese Notaufnahme ist nicht neu und was danach kommt, nicht. Ich bin kränker als gehofft, doch ich stehe.

Um keine einzige Sekunde zu vergessen – wie damals schon – schreibe ich jede Sekunde auf. In jeder einzelnen meiner Zellen bricht Liebe aus. Auch in denen, die ich nicht mehr spüren kann. Ich bin unheimlich sentimental und widerlich ruhig dabei. Es ist nicht nur das Wissen darum, was mich erwartet, die Diagnose oder welchen Ärztinnen ich aus dem Weg gehen sollte. Es ist das Wissen darum, wer ich bin und was ich von meinem Leben will, das mich atmen lässt als wäre nichts passiert; das das Blut leise hält.

Pantomime, ich. Halbhalb. Schwarzweiß. Jeder Mensch, dem ich begegne, fasst mir ins Gesicht, doch sie spüren nicht, was da nicht ist, nur, dass der Rest noch funktioniert. Immerhin.

Die Pantomime rollt sich zusammen, zieht sich die Kapuze ins Gesicht, stopft den Schal hinein und döst ein. Die Lichter leuchten weiter, die Tür verriegelt, ich blende sie und alles aus. Will mich der Angst vor der Angst stellen und kriege es nicht hin. Denn was kann ich ändern durch Panik und Wut? Jetzt gerade ist sie unangebracht – nicht immer. Vielleicht kommt sie laut und schreiend wieder, wenn jemand die Courage aufbringt mir eine Ansage zu machen.

Statt Erklärungen gibt es Fragen. Milliarden Fragen.
Und die eine – ob es eine schlimme Zeit in meinem Leben gab. Der Pfleger streicht über meine Arme, will die Geschichte zu den Narben hören. Ich muss lächeln. Das ist lange vorbei.
Und jetzt, wo ich hier liege, kann ich mich einfach nicht an den Gedanken gewöhnen, dass ich immer noch sterblich bin, obwohl ich schon so lange nicht mehr sterben will.

Als die Ungeduld durchbricht, kann ich sie hören, mehr nicht. Ich warte darauf, dass es vorbei ist. Nicht schweigend – schweigen verlangsamt in einer Klinik alles – aber leise. Die einzigen Töne, die mich verlassen, sind klare Worte, greifendes, kratzendes. Ich will kein Hickhack mehr, kann jetzt nicht auch noch ertragen, dass sich niemand festlegen will. Und Durchdrehen hilft nicht. Also warte ich, lasse das Kortison durch meinen Körper spülen, ihn schwächen und mich fallen. Kortison ist so viel einfacher, wenn man noch stehen kann. Und diesmal fühle ich nach, ohne Ablenkung, was dieser Stoff in mir tut während er mich rettet.
Noch als er in meine Venen tropft, bricht Hitze aus. Mit Mütze und Schal. Nur halbe Hitze, die Hitze, bei der man sich erkältet, weil man nicht mehr richtig schätzt.
Es ist ein bisschen wie der Moment, in dem man gerade erkannt hat, dass das letzte Bier eins zu viel war und bevor es egal wird, nur noch der Rausch da ist. Rausch.

Klinikselbstportrait
Klinikselbstportrait

Ich setze einen Fuß vor den anderen, balanciere, nur, weil ich es diesmal kann. Schreibe. Führe Hand und Finger dem lang geübten Muster nach, die Schrift bizarr verzogen, aber immer noch meine. Vermutlich wird sie nicht wieder die Alte werden. Wie eine Narbe, ein Kriegsmal. Durchgehalten.

Stelle fest, dass ich kaum weine. Der Schock wird kommen, irgendwann, er ist nicht dringend. Ich habe Zeit. Auch abgefahren, nicht wahr? Da wird die Krankheit chronisch, und alles, was ich mache, ist erstmal runterkommen. Denn jetzt ist ja auch wurscht, wa?

Ich denke an das Pärchen in der Notaufnahme. Sie, die Hilfe braucht um einen Becher Wasser zu trinken. Deren Sprache bereits so verändert ist, dass ich kein Wort mehr verstehe. Und ihr Mann, der Kortison braucht. Danach könne er alleine mit dem Auto nach Hause fahren, sagt er. Beide sitzen im Rollstuhl.
Ich weiß nicht, in welche Zukunft mein Körper geht. Ich versuche mich vorzubereiten, ohne Weg und Ziel zu kennen. Ich plane nur, was meine Seele damit tut, was auch immer da kommt. Selbst, wenn ich auf die Tränendrüse drücke, es kommt keine Endzeitstimmung auf. Keine kurzfristige Panik, für die man sich so schön schämen könnte, nichts zum Einigeln, kein Gekuschel im eigenen Elend. Stattdessen die Erkenntnis, dass ich nichts ändern muss. Dass alles genauso ist, wie es soll. Die Liebe, das Leben, ich habe mein Glück vor einiger Zeit schon gefunden.

Ich stehe. Aufrechter als das letzte Mal. Fleckenübersähter Körper. Blau, grün, rot und blass bin ich. Aber stehen rockt.

Published inJournal

Kommentare sind geschlossen.