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Das Übliche.

Am Ende jeden Jahres werde ich rastlos und ruhig zugleich. Es ist die Zeit, in der ich mir ansehe, was denn alles so passiert ist, in den letzten Tagen, Monaten. Manchmal sehe ich Jahre zurück. Und ich überlege, was noch passieren kann, ob es einen Schnitt gibt, einen Punkt, an dem man -weiter- sagt. Und während ich noch schaue, geht es weiter, ganz von allein, nur, weil ich mich nicht wehre.

Über 2016 kann man vieles sagen. Dass es besorgt zum Beispiel und dass wir nur noch stehen, weil wir unverbesserliche Optimisten sind. Ich möchte das sein, eine Optimistin, die niemals das Schlechte aufzeigt, ohne nicht auch Gutes zu zelebrieren. Und die nie ganz hinter dem eigenen Vorhang verschwindet, ihn aber auch nicht mehr vergisst, so wie damals.
Die Dinge gehen schnell. Schon seit Jahren rasen sie, ohne dass ich diese Jahre bemerkt habe. Vielleicht ist das so als Mutter oder wenn man Ende Zwanzig ist. Oder beides.

Dieses Jahr fühlt sich an wie ein alter Freund, der mir auf die Schulter klopft. Als hätten wir eine schwere Zeit hinter uns gebracht, wie eine Versöhnung, auf Raten und ohne jemals ein Ende zu finden. Es gibt einen Kuss, und dieses tiefe Verständnis, das man nicht oft hat. Es gibt Liebe und das Wissen darum, dass wir uns eben doch nur vor die Stirn gucken.
In diesem Jahr habe ich eine Wanderung begonnen, die lange geplant war, vor der ich Angst hatte. Das Durchhalten, das jetzt kommt, wird viel schwerer. Aber das kenne ich schon, sei es auch lange her.

2016 war eine Wanderung mit Ziel. Ist eine Wanderung, immer noch, und ich wage nicht ganz anzuerkennen, dass es auch von Glück abhängt, ob ich mein Ziel erreiche. Ankommen steht ohnehin nicht zur Debatte. Und was sind schon Ziele, was Träume, was Schicksal?

Man könnte sagen, ich habe das ganze Jahr nur mit mir selbst verbracht und mit dem, was unfraglich zu mir gehört. Mit der Familie. Mit Text. Und mit meinem Körper.
All das ist ganz und gar nicht üblich. Dieses Leben in dem Rhythmus, den mir meine physische Besonderheit aufzwingt. Und die meisten Rhythmen ändern sich noch immer, immer noch in der Anpassung. Ich muss erst rausfinden, wie das auf Dauer läuft und weiß genau, selbst Gewohnheiten werden nicht lange vorhalten. Sei es wegen der Medikamente, der Therapien oder der Krankheit selbst. Ich habe den Umgang mit meiner Multiplen Sklerose wieder angepasst. Sie braucht Zeit, die MS. Also nehme ich mir diese Zeit.
Nicht einmal das Schreiben ist üblich. Nicht in den Massen, nicht mit der Ernsthaftigkeit. Es war doch gerade erst, dass ich mich entschied, nur noch das zu tun, oder? Zu Schreiben. Ganz.
Und so eine Familie – das wissen alle, die sich um ein Kind kümmern – die ist nie üblich. Jeden Tag anders, jeden Tag füllt sie voll aus. Und neben diesen voll ausgefüllten Tag noch alles andere zu tun, das ist längst keine Herausforderung mehr. Das war es nicht in meiner Jugend, das war es nicht im Studium, im Job, in der Politik. Erst das macht mich fähig. Das Funktionieren. Das Aufgehen. Das Gefühl. Denn was ich tun muss, schreiben, das steht nie nur für sich selbst. Es ist immer dazwischen, es gehört immer ins Drumherum.
Also ist das in Ordnung, das Rasten, das Wandern, sogar die MS ist in Ordnung.

Alles kommt in Ordnung.

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