Vier Monate sind vergangen, naja, fast. Es war eine Woche Sorge, eine Woche panische Angst, eine Woche Weinen, drei Wochen Runterkommen und ganz viel Zeit damit leben zu lernen.
Ich habe eine Diagnose, die das “I” im Namen trägt. Kein Grund, keine Ursache zu finden und mittlerweile auch von meiner Seite aus nur noch ein leises “pff”, wenn der neue Neurologe fragt, ob ich denn nicht wissen wolle. Es könnte eben alles sein. Bin nicht desinteressiert, versuche nur ein wenig Realismus reinzubringen. Wahrscheinlichkeiten sind okay. Es war sicher Kopf dabei, irgendeine der vielen kleinen Infektionen. Nicht so wichtig.
Die Therapien gehen zu Ende, muss nun eine Weile allein klarkommen. Kenne die Bewegungen und weiß die Schmerzen einzuschätzen. Trotzdem ist da etwas. Kann die Krankheit nicht greifen, nicht sehen, nicht spüren. Nicht einmal halbwegs erklären.
Gesprächspartner*innen geben sich zufrieden mit der Diagnose, mit “medikamentenfrei”, mit “es wird wohl nicht schlimmer werden”. Um tiefer zu gehen, fehlt mir der Mut auszusprechen, wovor ich tatsächlich Angst habe. Selbst die Wortlosigkeit in Worte zu fassen, schriftlich oder leise flüsternd, allein, dass es niemand hört. Bestimmt habe ich das schon getan, ich kann mich einfach nicht erinnern. Es ist wie eine zündende Idee im Halbschlaf, kurz bevor alles weg ist und ein neuer Traum beginnt.
Der geschundene Körper, der fühlt sich immer noch an wie meiner. Die Blockaden, der Druck, das Zittern, der Drang sich mehr zu bewegen. Es ist alles noch meins, kann es sehen und nachfühlen, was sich im letzten Jahrzehnt verändert hat, ganz besonders, was sich im letzten Jahr, was sich seit der Geburt meines Kindes und – ich schließe die Augen – was sich seit der Notaufnahme verändert hat. Das Tiefste, das versuche ich noch zu begreifen. Meine Krankheit hat Grundlegendes zerstört. Rückenmark. Wie kann daran etwas kaputt sein, wo ich doch hier sitze, schreibe und ein bisschen mit dem Arsch wackel, einfach, weil ich ihn wieder bewegen kann?
Krabble das Darth Vader Theme brummend dem jauchzenden Kind hinterher. Es weiß, dass ich an Schnelligkeit eingebüßt habe. Dass ich mich festhalten muss, wenn ich aufstehe. Es reicht mir Dinge vom Boden an, wenn ich es darum bitte und ist nicht mehr beleidigt, wenn ich aus einem Spiel aussteige. Mein Sohn ist das zusätzliche Gewicht, bei der Gymnastik, die noch ungewohnt aussieht, sich aber richtig anfühlt.
Meine Physiotherapeutin verabschiedet sich nur zum Teil. Wir werden uns garantiert wieder begegnen, nur hoffentlich nicht allzu bald. Streiche über meinen Querschnitt, kann immernoch die Grenze erfühlen. Da, wo plötzlich nichts mehr war, zu dem Punkt, an dem plötzlich nichts mehr ging.
Das ist bei weitem nicht das erste Mal, dass es eine Zäsur in meinem Leben gab. Nicht das erste Mal, dass mein Leben mir eingehämmert hat wie wichtig Freund*innen sind. Und wie wichtig es ist zu kämpfen. Und dass dieses eine Leben schön ist, es wert ist und ich nur eins damit tun kann: Was ich will.
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