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Noch nie war eine Grenze so unscharf. Neujahr 2021.

Normalerweise schreibe ich meinen Jahresrückblick an Silvester. Manchmal kommt er hier hin, manchmal nicht. Dieses Mal ist sogar Neujahr schon rum und an meinem Gefühl hat sich nichts geändert.

Die Pandemie ist nicht vorbei und die Probleme, die dadurch so deutlich aufgezeigt wurden wie nie zuvor, sollen immer noch nicht gelöst werden. Es macht müde und wütend und müde wütend sein ist anstrengend. Doch über Tagespolitik habe ich schon geredet (im Podcast Linkes Gerede, der noch nicht online ist). Das hier wird privater.

In diesem absurden Jahr 2020 habe ich ein paar richtige Entscheidungen getroffen, in wirklich beschissenen Situationen. Kurz vor dem großen Erkennen, was abgeht, war meine Kinderbetreuung bereits in Quarantäne. Dann wurde eins der Kinder krank. Dann kam der Lockdown. Wochenlang war die Familie im Ausnahmezustand. Die härteste Phase der Traumatherapie begann. Konfrontation per Videokonferenz. Die wichtigsten Tage des Jahres, die Schreibtreffen, die Treffen mit dem Freundeskreis, alles fiel aus, alles fehlte mir. Wir verloren alle Einkommen der Familie und alle Unterstützung in der Betreuung der Kinder. Jede Woche neu entscheiden, wo ist unsere Grenze zwischen Infektionsschutz und Schutz unserer psychischen Gesundheit.

Was war daran gut? Die Prioritäten.

Zeit. Schlaf. Nichts ist so wichtig wie diese beiden Dinge, auch wenn zwischen ihnen jede Sicherheit flöten geht. Genug Zeit für sich allein, nicht nur, um zu schlafen.

Und als ich schließlich nach Wochen wieder arbeiten konnte, war da etwas ganz neues, etwas angsteinflößendes, etwas, das mich ständig zur Aufgabe drängte und schließlich in meiner ersten Ausstellung mündete. Jetzt habe ich kuratiert. Das ist cool. Seitdem schreibe ich wieder. Ellis Geschichte ist fertig geworden. Ich bin sehr zufrieden damit, wie sie sich entwickelt hat. Es passiert mir nicht oft, dass sie das tun wie geplant.

Außerdem habe ich mich im Sinne der Konfrontation und der Selbstversicherung wieder an der Uni eingeschrieben. Es geht darum, das zu lernen, was ich lernen möchte, auch wenn meine kleine Welt und die fiesen Stellen in meinem Kopf mir immer wieder sagen, dass ich das nicht kann und die guten Stellen in dem selben Kopf sich sicher sind, dass ich nicht muss.

Insgesamt bin ich geduldiger geworden. Mit meinem Umfeld, meiner Familie und mir selbst. Und ich stehe mehr für mich und meine Gefühle ein, habe mich von ungesunden Beziehungen befreit und versucht die wichtigen und schönen, die voller Liebe, aufrecht zu erhalten. Natürlich weiß ich nicht, ob mir das gelungen ist. Ich hoffe, dass ihr wisst, wenn ich euch sehr gern habe.

Und mein geschundener Körper? Nach all den Schmerzen und Einschränkungen bin ich während der Pandemie zu einem Mensch geworden, der raus muss, egal bei welchem Wetter. Dieser Bewegungsdrang fühlt sich beinahe kindlich an. Ich liebe es.

Und wie wird es jetzt?

Ein paar Dinge stehen schon fest, weil ich sie mir gewünscht und weit genug erarbeitet habe. Ab diesem Jahr bin ich Mitglied im örtlichen Kulturausschuss und darf auch im Kreistag mit hineinschauen. Das macht mich ziemlich stolz und ich habe einen angemessenen Respekt vor dieser Arbeit. Fürs Schreiben habe ich auch ein paar Deadlines. Bis April muss ich Grün beendet haben, was mein Herz fressen wird und hoffentlich geflickt wieder ausspucken. Vorher schreibe ich ein oder zwei Exposés und Leseproben für Wettbewerbe und Stipendien. Drückt mal die Daumen. Außerdem unterrichte ich – vermutlich ab März – Kreatives Schreiben. Dazu habe ich noch einiges vorzubereiten, aber ich bin sicher, das kriege ich gebacken und nervös zu sein, ist wohl gesund. Rein körperlich habe ich mir auch etwas vorgenommen. Der regelmäßige Sport tut mir gut, also behalte ich ihn bei, weite ihn aus, wenn es mir möglich ist, und achte wieder etwas mehr auf meine Ernährung.

Ich möchte Ich werden in diesem Jahr. Noch mehr als ich es letztes Jahr geworden bin. Keine allzu große Angst vor mir selbst haben, annehmen, wie ich eben bin, wie meine Geschichte und mein Leben sind, mich verbessern, ohne mich optimieren zu wollen. Schritt für Schritt, mit Geduld, stetig. Ich möchte verstehen, was mit mir passiert ist, was mir angetan wurde und was das mit mir gemacht hat. Ich möchte freundlicher auf die blicken, die jetzt Fehler begeht und versuchen es beim nächsten Mal anders zu machen. Ich möchte nicht gesund werden, sondern gesünder, und mich wohler mit mir fühlen, in jeder Hinsicht.

Und euch wünsche ich all das auch. Nicht das konkrete, aber so grundsätzlich. Was Gutes.

Passt auf euch auf.

(Und in ein paar Monaten sehe ich ein paar von euch hoffentlich wieder. Mit Umarmungen und so.)

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