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Ich habe aufgegeben.

Und um weiterhin ehrlich zu bleiben – denn nur das hilft – es tut weh.
Aufgegeben zu haben tut verdammt weh.

Ich schreibe über meine Krankheit seit ich sie habe, schon bevor ich wusste, dass ich sie habe, schrieb ich über sie. Ich möchte verstehen und ja, ich möchte auch, dass ihr versteht.
Und ich darf einfach nichts verschleiern, darf nichts beschönigen und nichts runterschlucken.
Heute erzähle ich, wie ich den Traum aufgebe gesund zu sein.

Ich werde nicht mehr gesund sein.
Ich werde nicht dagegen kämpfen.
Ich werde nicht so tun, als wäre ich es.

Denn ich habe es versucht und es schlimmer gemacht.
Dabei geht es mir nicht schlecht. Die Schmerzen sind erträglich und die Müdigkeit im Rahmen. Ich kann springen und balancieren, meistens. Ich kann das Kind auf den Arm nehmen und singen und: über all das schreiben.
Doch nach dem ersten Schub und nachdem er vorbei war, als ich noch hoffte, das alles ginge vorüber, wäre nur eine Episode, da war ich unsterblich. Da war ich unbesiegbar. Da war ich Hulk und Wonderwoman, auf der Höhe meiner Kraft.
Ich bekämpfte die Symptome und ich gewann. Und ich gewöhnte mich an dieses Gefühl. An die Macht über meinen Körper. Ich wurde stark, hart, überwand mich und meine Grenzen.

Das ist jetzt eine Weile her. Mich gegen die Krankheit zu stemmen ist nerven- und kräftezehrend. Ich springe nicht mehr durch Türen. Ich halte vor allem die eine zu, die mich wirklich bedrohen könnte. Und dabei weiß ich nicht mal, ob es die richtige ist. Das Interferon kann mir helfen. Wissen kann ich das noch nicht. Doch ich setze meine Hoffnung da hinein.
So sehr, dass ich anderes dafür aufgebe. Stark zu sein und stärker zu werden. Ich gebe die Illusion auf wie mein Alter Ego durch das fantastische Tyria zu springen, allzeit bereit und stabil zu sein. Ich gebe die Kraft auf. Ich gebe das Wachsen auf. Ich gebe die auf, die ich vor zehn Jahren war und mir in meiner Angst und der ungewissen Zukunft so gern zurückgeholt hätte. Ich kann nicht mehr sein, wie ich war und nicht mehr kämpfen, wie ich es damals tat.

Die Krankheit und ihr voran die Medikation, sie fordern. Und hier und jetzt – da lasse ich sie gewinnen. Ich kann das nicht mehr. Ich kann mich nicht dagegen stemmen mit allem, was bleibt. Dafür sind mir all die anderen Dinge viel zu wichtig, ich brauche noch Zeit und Kraft für sie. Und die Grenze in mir selbst zu überschreiten, jeden Tag und die Konsequenzen zu ertragen. Mehr Schmerz. Das möchte ich nicht mehr.

Diesen einen Kampf, den gebe ich jetzt auf.
HÖRST DU? ICH GEBE AUF! Und jetzt lass mich in Ruhe.

Ich gebe es auf diese Person zu sein. Die, die immer Muskelkater hat, von dem Selbstkrieg, jeden Tag. Ich bin das nicht mehr. Und wer ich auch bin, jetzt, ich nehme das an. Ich bin jetzt anders. Wenn ich herausgefunden habe, wer das ist, dann werde ich nicht dagegen kämpfen. Ich bin es leid. Ich bin müde.

Ich gebe es ab, und als ich es von mir abreißen höre, – dieses Schmatzgeräusch, die Wunde blutet – da bin ich erleichtert. Lasse es fliegen und sehe zu, wie es gefressen wird. Totes Gewebe. Es war längst an der Zeit. Sollen Neil Gaimans Hungervögel es haben.

Die Zeit, in der ich alles konnte, in der ich selbst tat und allein war, sie ist vorbei. Für immer. Das Klavierspiel wird leiser. Ich mache Fehler. Und ich kaufe keine Einmachgläser mehr. Ich kriege sie nicht auf. Mehr Tabletten. Gegen die Schmerzen. Und gegen die Angst.

Was bleibt ist zu kostbar um es zur Debatte zu stellen. Alles, was ich brauche, ist da. Alles andere brauche ich nicht.

Atmen. Schlucken. Es ist weg. Die Wunde verschorft.

Diese Autonomie aufzugeben. Das Selbstverständnis eines Teenagers, die unbändige Kraft alles zu tun, die Welt zu stürzen und das Universum zu besteigen – mit den eigenen Füßen und dem eigenen Kopf. Das aufzugeben tut so unendlich weh. Ich bin kein Teenager mehr und der Kopf braucht immer öfter Pause.

Und wer weiß, vielleicht erholt er sich sogar, wenn ich doch jetzt aufhöre das Unmögliche zu versuchen.

Und an die, die mitgelesen haben, als ich das hier schrieb, weil ich mich so alleine fühlte – danke. Danke.

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